Grenzen um Limburgs Westen
Von Eijsden zum Sint Pietersberg
Wir erinnern uns: Beim Wiener Kongress wurde diese Region hauptsächlich den Niederlanden zugesprochen. Einem Teil der Bevölkerung widerstrebte das
… wegen der rigiden niederländischen Herrschaft,
… wegen ihres überzeugten katholischen Glaubens in einem ansonsten überzeugt calvinistischen Staat
… wegen ihrer allgemein frankreichfreundlichen Einstellung und
… wegen der aus der französischen Revolution noch nachklingenden Ideale.
Ihr Aufbegehren führte zur belgischen Revolution, zu kurzen kriegerischen Auseinandersetzungen und schließlich zur Anerkennung Belgiens als souveräner Staat. Die Grenzverläufe wurden 1843 völkerrechtlich verbindlich festgelegt, woran uns die Aufschrift auf den Grenzpfählen erinnert.
Am südwestlichsten Punkt der so entstandenen niederländisch-belgischen Grenze, unterhalb des Eijsdener Ortsteils Laag Caestert, treffen bei unserer roten Pfeilspitze zusammen … wir genießen wieder diese Sprachenvielfalt …:
für die niederländische Provinz Limburg (I)
die gemeente Eijsden-Margraten
für die belgisch-flämische Provinz Limburg (IIII)
die flämische Gemeinde Voeren (II), limburgisch Voere genannt, französisch Fourons, wallonisch Foron und auf Deutsch Vuren. Diese liegt allerdings mitten im Gebiet der belgisch-wallonischen Provinz Liège (mit dem flämischen Namen Luik und dem Deutschen Namen Lüttich).
für die belgisch-wallonische Provinz Liège (III)
die commune de Visé (mit dem flämischen Namen Weset und dem deutschen Namen Wesent)
Das sieht auf einem Kartenausschnitt so aus …
und
… im echten Leben – von Eijsden her fotografiert – so
(Maas-aufwärts geschaut, Richtung Grenzpfahl Nr. 45.)
Das Gebiet der commune de Visé zieht sich im Zickzack vom östlichen zum westlichen Ufer der Maas und dort bis zum Sint Pietersberg und zu den Grenzen der Stadt Maastricht. (Das sehen Sie fuchsia-farben ausgefüllt in der Karte.)
Die Grenzzieher im Jahr 1843 konnten sich auf einen Grenzverlauf an der tiefsten Stelle der Maas einigen. Zur Markierung dieser Grenze wurden, wie es üblich ist, an beiden Seiten des Flusses die jeweiligen Grenzsteine aufgestellt. Für Belgien sind es Grenz p f ä h l e, das haben Sie sicher aus unserem ersten Grenzen-Beitrag noch in Erinnerung. Uns erspart dies das tatsächliche Schwimmen in der Maas zu Grenzsuchzwecken ;0))
Belgischer Grenzpfahl Nr. 47 auf niederländischem Gebiet in Eijsden.
Das Pendant steht am gegenüberliegenden Ufer in Lanaye.
Genaueres finden Sie, auch das haben wir Ihnen schon ausführlich verraten, im Grenzsteinarchiv des Eef Berns unter http://www.grenspalen.nl/archief/benl-archief-index.html Den Originaltext der Beschreibung des Grenzverlaufs finden Sie dort ebenfalls.
Aber es geht noch komplizierter: Bei einem so hochwassergefährdeten Fluss müssen Bauten, Brückenköpfe und Grenzmarkierungen hoch am Ufer in sicherem Abstand gegründet und/oder aufgestellt werden. Mäandriert der Fluss auch noch (schlängelt sich) mit geringem Gefälle, kann Hochwasser schon mal zu überraschenden Grenzverlegungen führen.
Deshalb schafft man bisher mit traditionell stark regulierenden wasserbaulichen Maßnahmen Abhilfe, sorgt dafür, dass Flüsse kanalisiert, begradigt und schiffbar gehalten werden. Man baut aber auch separate Kanäle, die die nicht schiffbaren Strecken des Flusslaufs umgehen. Beides gab es reichlich an der Maas, beides hatten die Grenzzieher von 1843 nicht vorhersehen können.
Wilder Westen oder Wilder Osten?
Zwischen Eijsden und Maastricht wurden
… zwischen 1845 und 1850 der Lüttich-Maastricht-Kanal angelegt https://nl.wikipedia.org/wiki/Kanaal_Luik-Maastricht, der Teil einer belgischen Kanalverbindung zwischen Lüttich und Antwerpen wurde …
… zwischen 1925 und 1935 nördlich der Stadt Maastricht der niederländische Julianakanal erbaut, der neben der nicht schiffbaren Maas einher lief …
… und zwischen 1960 und 1980 verschiedene Maas-Schleifen verkürzt und kanalisiert.
Irgendwann entstanden dabei in der Maas zwei Halbinseln, die zwar zum jeweils verhandelten Territorium gehören, die von dort aus aber nicht erreichbar sind … Wir haben Ihnen diese Halbinseln gelb gepfeilt.
J e d e n f a l l s
kann man an der Karte sehen,
… wie dort um 1843 die Maas verlief – weil ja die Grenze immer noch an der ehemaligen tiefstenStelle eingezeichnet ist
… und …
… wie man die jeweilige Halbinsel trockenen Fußes nur über nachbarliches Territorium erreichen kann.
Erst im Jahr 2012 setzten sich Vertreter beider Länder zusammen und handelten zielorientiert eine sehr nachbarschaftlich-freundliche und weise Lösung aus:
einen
H a l b i n s e l – T a u s c h.
Die Niederlande übernehmen zum 01.01.2017 die fraglichen 14 ha der nördlichen Halbinsel.
Sie treten dafür die 4 ha große südliche Halbinsel an Belgien ab.
Unglaubliche Details dazu lasen wir in einem Artikel des Journalisten Victor Schildkamp, veröffentlicht im Dagblad de Limburger am 08.01.2016. Eine spannende Lektüre aus einem gefühlt niederländischen Wilden Westen, der doch eigentlich Belgiens Wilder Osten ist:
Sie werden schon ahnen, dass es für einen Halbinsel-Tausch nach all den Jahren mindestens e i n e n wirklich guten Grund geben musste. Soviel vorweg: Die damaligen Grenzzieher wären stolz gewesen auf die langfristigen Risiken und Nebenwirkungen ihrer bis heute funktionierenden Grenzziehung.
Wir machen Ihnen die unglaublichen Details aus dem Leben einer Halbinsel zugänglich. Unser Button dafür ist ein würdiger snor – Schnurbart.
Hier finden Sie aber zunächst die Clubhymne des Antwerpener Clubs der Schnurbartträger, der für die Idee vom „Freistaat Snoravia“ stolz die Verantwortung trägt. „Jedem sein Tick“ konnten wir verstehen und irgendwas von „tap“, was ein Zapfhahn für Bier ist. Zu mehr sehen wir uns nicht in der Lage, weil wir in nüchternem Zustand angeheitertes Liedgut nicht übersetzen. Keine unfairen Tricks, nur der Link: https://www.youtube.com/watch?v=ONs3TVGhqVM
Hier klicken Sie sich in
Richtung schimmige praktijken
Die halbinsulare Verstrickung war sogar von überregionaler Bedeutung: Algemeen Dagblad (AD) berichtete über das denkwürdige Ereignis: http://www.ad.nl/buitenland/cadeautje-van-de-belgen-het-vrijstaatje-snoravia~ae263f4f/
(das heißt: ad.nl/Ausland/kleines-Geschenk-der-Belgier-der-kleine-Freistaat-Snoravia)
Grenz-Überschreitungen – über- und unterirdisch
Eine so wunderbar unaufgeregte Grenzkorrektur ist eine erfreuliche Realität in der EU zwischen befreundeten Ländern. (Davon wissen wir später noch mehr zu berichten.) Aber nicht alle Grenzen sind so unproblematisch.
Grenzzieher aller Jahrhunderte l i e b e n die Flussläufe.
Sie waren als natürliches Hindernis so schön kontrollierbar.
Es gab nämlich eine Zeit …
… in der man noch nicht an ein grenzenloses Europa dachte
und schon gar nicht an
Freizeit-Kapitäne mit eigenen Booten,
an Surfer,
Speed-Boot-Fahrer,
Paddler
… und in der zudem die Maas ein unberechenbarer, ungezähmter Fluss war …
Überirdisch
Heutzutage überqueren all diese Wassersportler mühelos, ganz nach Belieben und unbehelligt die flussmittige unsichtbare Staatengrenze.
Früher deckten nur schmuggelnde Fischer/Angler und fischende/angelnde Schmuggler ihren Bedarf an Abenteuer und/oder krimineller Energie. Sie riskierten, je nach Wasserstand, bei Nacht und Nebel ihr Leben bei der Überquerung des Flusses.
In diesem Teil des Flusslaufes gibt es keine für die Grenz-Überschreitung geeignete Straßen- oder Eisenbahnbrücke, die A2/E25 quert den Fluss schon auf rein belgischem Territorium.
Der daher einzige offizielle oberirdische Grenzübergang über den Fluss – innereuropäisch, aber sichtbar, charmant und schwimmend – findet sich gleich in Eijsden und ist sowieso fotogener:
die Personen- und Fahrrad-Fähre Eijsden-Lanaye
Vom Fähranleger aus ist schon das Hochplateau des Sint Pietersberg zu sehen, der auf wallonisch-belgisch Montagne Saint Pièrre heißt. Die mächtigen Kalksteinvorkommen, die den Untergrund im Heuvelland – Hügelland – bilden, nennt man auch Mergel. Den Touristen sind die Mergelgrotten bekannt, die man in der Region, z.B. in Valkenburg oder in Maastricht besichtigen kann.
Nördlich von Lanaye steigt die Grenze am Westufer der Maas an Land und führt durch das Terrain des Sint Pietersbergs. Oben liegen strategisch wichtige Aussichtspunkte über das gesamte Gebiet wie das Fort Sint Pieter. Wo genau und wie dort oben die Grenzverläufe des Mergelplateaus markiert sind, haben wir nicht untersucht. Da schauen Sie bitte selbst auf touristischen Pfaden nach.
Unterirdisch
Unterirdisch wäre eine solche Suche noch schwieriger geworden. Es gab dort früher 20.000 Gänge mit einer Gesamtlänge von ca. 200 km, heute noch 8.000 Gänge, einen limburgisch-belgischen Teil, einen limburgisch-niederländischen Teil, dazwischen ein Betonwerk, das Mergelstein abbaut …… zu kompliziert – und wir hatten leider sowieso keine Zeit …
… denn wir haben stattdessen den Text eines beeindruckenden Dokumentarfilms für Sie übersetzt:
Die Mergelgrotten und –gänge waren für die Bevölkerung in allen Kriegs- und Notzeiten wichtige Zuflucht. Ihre Rolle im 2. Weltkrieg ist im Dokumentarfilm von Jacquo Silvertant und Jac Dieteren aus dem Jahr 2004 eindrucksvoll von Zeitzeugen beschrieben.
Der dreiteilige Dokumentarfilm Onderaards in Oorlogstijd – unter der Erde im Krieg – wurde 2008 beim Fernsehsender Limburg1 (L1) gesendet und war als DVD erhältlich. Wir fanden in der Version von 2004 eine bewegende Kurzfassung unter diesem Link: https://www.youtube.com/watch?v=6cgw_ALGR4M (Anm. d. Red. 30.03.19: Video leider nicht mehr online)
Sie werden die unterirdischen Wege der Widerstandskämpfer und damaligen Menschenschmuggler sehen. Und Sie lernen Menschen kennen, die zur Rettung Verfolgter ihr Leben riskierten – oder sich selbst unterirdisch in Sicherheit bringen mussten. Was sie zu sagen haben, bringen wir Ihnen per Button zur Kenntnis.
Dieses Haus aus Mergelstein (in Susteren)
ist der Button,
mit dem Sie sich zur Übersetzung des Texts klicken
Das Baumaterial hat nämlich mit dazu beigetragen,
dass es die Grotten als segensreiche Hilfe in der Not überhaupt gibt.
Welche Rolle der Mergelabbau als Wirtschaftsfaktor spielte, das berichten wir später mal.
Bei der Befreiung der Niederlande durch die Alliierten wurden in den Mergelgrotten auch Kunstwerke des Rijksmuseum aus Amsterdam in Sicherheit gebracht. Dieses und sehr viele andere wissenswerte Themen um den Sint Pietersberg sind in guten Händen. Wenn es Sie interessiert, reichen wir Sie gern weiter an das gemeinde-, provinz-und staatenübergreifenden Projekt Sint Pietersberg tussen Jeker en Maas – Sankt Petersberg zwischen Jeker(-bach) und Maas. https://www.sintpietersberg.org/ oder http://www.montagnesaintpierre.org/index.html (Anm. d. Red. 12.05.23: Seite nur noch via web.archive.org zu erreichen).
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