Systematische Meinungsverschiedenheiten im Schilde
Nummernschilder
Können Sie sich vorstellen, dass es an d r e i Buchstaben liegen soll, dass wir und unsere Nachbarn in der niederländischen Provinz Limburg uns s y s t e m a t i s c h nicht verstehen???
Dann schauen Sie mal bitte:
„Aua“ sagen wir bei Schmerzen (das zweite a erst ergibt den quälenden Genuss!!!) –
und wir schicken einen anerkennenden Gruß an die Person in Augsburg,
die diesem Auto dieses Nummernschild gab.
„Au“ sagen die Niederländer, aber dazu brauchen wir ein A-U 123,
was wiederum die bundesdeutschen Leser nicht annähernd so lustig fänden.
AU-A (Aue in Sachsen, Erzgebirgskreis) ginge für uns ja auch, aber für die Niederländer nicht…
Sie merken, wir sind schon fast mittendrin in der Problematik, denn genau so sehen sie aus, diese Missverständnisse zwischen uns und unseren Lieblingsnachbarn – und sie stehen im wahrsten Sinne des Wortes für ein geplantes S y s t e m. Im 21. Jahrhundert!!! Und mitten in Europa!!!
Es beginnt bereits im Kindesalter: Der tiefgreifendste Unterschied zwischen niederländischen und deutschen Kindern im Straßenverkehr ist nämlich nicht, dass niederländische Kinder bei jedem Wetter kilometerweit mit dem Rad zur Schule fahren, während deutsche Kinder sich vom Schulbus transportieren lassen!
Der wirklich tiefgreifendste Unterschied prägt uns schon als Kinder sobald wir ins lesefähige Alter kommen und liegt, Sie ahnen es schon, in den
… Autonummernschildern …
Mit ihnen werden wir sozialisiert, lernen wir fürs Leben …
Wir lernen lesen:
HAS-E 123 heißt Hase und PIR-AT 123 heißt Pirat.
Wir lernen Geografie:
HAS ist das Nummernschild von Hassberge und das liegt im bayrischen Unterfranken
und
PIR ist das Nummernschild von Pirmasens einer Stadt in Rheinland-Pfalz.
Wir lernen Mobbing und Diskriminierung von Minderheiten:
GV ist das Nummernschild
des vormaligen Landkreises Grevenbroich bei Düsseldorf (ca. 300.000 Einwohner) und verrät:
da fährt ein Gefährlicher Verkehrsteilnehmer …
LWL ist das Nummernschild
on Ludwigslust-Parchim (ca. 220.000 Einwohner)
und das liegt im LeberWurstLand …
DAN ist das Nummernschild
von Lüchow-Dannenberg (ca. 50.000 Einwohner), sowas fahren nur
die Dümmsten Autofahrer Niedersachsens …
… und so weiter.
Das ist natürlich erst der Anfang, die Leseübung. Ab dem ersten eigenen Auto können wir selbst mitreden – oder besser: mitschreiben.
Oft ist nicht eindeutig, ob uns dabei die Selbsterkenntnis treibt, oder ob wir Streit mit anderen suchen, aber S-AU 123 ist eindeutig eine Aussage, auch wenn man dafür sein Auto in Stuttgart anmelden muss.
Wir in Deutschland haben also reichlich Gestaltungsmöglichkeiten, den Anfang unserer Botschaften nehmen wir aber zwangläufig aus amtlichen Listen. Eine Liste der zugelassenen deutschen KFZ-Kennzeichen finden Sie beispielsweise unter https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Kfz-Kennzeichen_in_Deutschland
Dazu haben wir die Wahl der Buchstaben hinter dem Bindestrich. Wir wählen und schreiben fleißig und wir haben uns erstaunlich viel zu sagen. Der AU-A-Rettungswagen ist Ihr Button zu einer kleinen Liste solcher Botschaften …
Bitte vergessen Sie nicht: Diese Botschaften sind wie Geheimwissen, wenn man die deutsche Sprache nicht kennt! Nicht alle Niederländer sprechen so gut Deutsch, wie unsere unmittelbaren Nachbarn in Limburg – und auch die schwächeln natürlich mal bei dem einen oder anderen Wort…
Aber es gibt eine ausgleichende Gerechtigkeit ;0)) . Dazu kommen wir später.
Kenteken
Zunächst müssen wir Ihnen erklären, dass systembedingt das Königreich der Niederlande seinen Bürgerinnen und Bürgern eine solche Sozialisierungsform und Mitteilungsmöglichkeit nicht zugesteht.
Es liegt an „Klinkers“. Das sind keineswegs Bausteine, mit denen man Häuserfronten verkleidet – und dann auch noch in der falschen Mehrzahl geschrieben! Nein, klinkers ist das niederländische Wort für Vokale.
Klinkers
sind also die Buchstaben
a,
e,
i,
o
und
u,
deren Fehlen in den niederländischen Autokennzeichen dafür verantwortlich ist,
dass der komplette Vorgang des Lesenlernens und der Sozialisierung anders verläuft als bei uns
(siehe oben ;o)))
Es gibt weitere fundamentale Unterschiede:
- Niederländische Fahrzeuge erhalten nur ein einziges Kennzeichen, das sie ihr ganzes Leben lang begleitet (von der Erstzulassung bis zum Schrottplatz..). Fahrzeuggebunden also.
- Seit dem Jahr 1951 werden niederländische Autokennzeichen nicht mehr auf Provinzebene vergeben, sondern von einem zentralen Register ausgestellt. Regionale Identitäten lassen sich seitdem nicht mehr an der Autonummer ablesen.
- Wunschkennzeichen gibt es nicht.
- Das Alter eines Fahrzeugs lässt sich am kenteken grob einschätzen, denn die sidecodes, so heißen die Ziffern und Buchstaben-Kodierung auf Nummernschildern, sind in Tabellen nachlesbar. Diese finden Sie beispielsweise unter https://nl.wikipedia.org/wiki/Nederlands_kenteken
Aktuell werden Nummern nach sidecode 13 vergeben. - Unter https://www.kentekencheck.nu/ lassen sich kostenlos die Daten der Fahrzeuge nach Nummernschildern feststellen. Fahrzeug-Lebensläufe, die Glaubwürdigkeit der Kilometerstände, einige Daten der Wagen checkt man, ehe man einen Gebrauchtwagen kauft.
So sehen die Angaben aus:
Das ist kein niederländisches Kennzeichen sagen Sie?
Es ist dunkelblau-weiß
und jeder weiß doch,
dass die uns vertrauten niederländischen Fahrzeuge
schwarz-gelbe Kennzeichen haben!!!
Die Niederländer sehen das völlig anders!
Nummernschild heißt in der niederländischen Sprache kenteken. Der kentekenbewijs entspricht unserem Fahrzeugbrief. Seit 2014 hat er Kreditkarten-Format und heißt kentekencard. Wie die Dokumente sich seit 1978 entwickelt haben, können Sie hier sehen:
https://www.rdw.nl/particulier/voertuigen/auto/het-kentekenbewijs/over-het-kentekenbewijsdocument
Unter www.rdw.nl finden Sie alle notwendigen Informationen. RDW steht ab 1949 für Rijksdienst voor het Weegverkeer. Zeiten und Neuorganisationen sind über diese Institution hinweg gegangen, die Internetadresse aber sollten Sie sich merken, wenn Sie in den Niederlanden ein Auto kaufen oder verkaufen wollen.
Anders als bei uns lassen sich Nummernschilder nicht beim Schildermacher neben dem Straßenverkehrsamt mal schnell anfertigen und im Amt mit den nötigen Plaketten versehen.
In den Niederlanden gibt es GAIK, das System für die kontrollierte Ausgabe und Rücknahme von Nummernschildern, das den Missbrauch verhindern soll. In einer Liste autorisierter Hersteller von Nummernschildern können Sie den Lieferanten Ihrer Wahl aussuchen unter
https://www.rdw.nl/-/media/rdw/rdw/pdf/sitecollectiondocuments/e-en-t/naslag/overzicht-kentekenplaatfabrikanten.pdf
(Anm. d. Red. 02.10.21: PDF ist nur noch auf web.archive.org verfügbar)
Weil das Fahrzeug sein ganzes Leben lang ein und dasselbe Kennzeichen führt, ist ein Nachbestellen nur nötig, wenn das Original-Kennzeichen verloren ging oder gestohlen wurde. Das erste und jedes weitere Duplikat werden fortlaufend nummerier. Hier ein zweites Duplikat-Schild:
- Die schwarz-gelben … sind die heutzutage ausgegebenen niederländischen Standardkennzeichen. Warum ausgerechnet diese Grundfarbe? Sie reflektiert beim Geblitzt-werden das Licht weniger stark, macht das Kennzeichen also auf Aufnahmen deutlicher lesbar… und das ein ganzes Fahrzeugleben lang!!!
- Die dunkelblau-weißen … wurden bis 1978 ausgegeben. Sie heißen heute offiziell historisch kenteken, wenn die aus zwei Gruppen mit Zahlen und einer Gruppe mit Buchstaben bestehen.
- Die weiß-schwarzen … sind für Anhänger/Wohnanhänger bis 750 kg Leergewicht und für z.B. Fahrradträger, die die Sicht auf das Kennzeichen verdecken. Sie tragen die Nummer des ziehenden Fahrzeugs.
- Die hellblau-schwarzen … sind für Personentransporte, hauptsächlich für Taxi und Minibusse im öffentlichen Nahverkehr oder z.B. von Behindertenwerkstätten etc…)
- Die hellgrün-schwarzen … sind Händlerkennzeichen, die an Fahrzeugen befestigt werden, die noch keine Erstzulassung haben. Der Unterschied zu den hellblau-schwarzen verlangt ein geübtes Auge …
- Und dann sind da noch die Weiß-schwarzen deutschen Kennzeichen. Die gehören nicht zu niederländischen, sondern zu deutschen Fahrzeugen und versorgen die Niederländer immer wieder mit ziemlich merkwürdigen Botschaften:
Sagt uns, dass ein Autofahrer aus Hof in Bayern uns einen aufgebohrten Auspuff oder einen PS-starken, röhrenden Wundermotor zu Gehör bringen will. (Imperativ des Verbs hören, Umlaut international geschrieben mit oe.)
Niederländer aber sprechen oe wie unser langes u aus.
Und da haben wir den Schlamassel!
Versuchen Sie`s mal – und schon müssen wir Sie darauf hinweisen, dass dieses Kennzeichen auf Niederländisch eine Dame der käuflichen Liebe ankündigt, ob die von uns eingekürzte Zahl den Fehlgriff verschlimmert oder verbessert, wer weiß…
Wir Bundesdeutschen würden das nur so lesen, wenn ein Autokennzeichen aus Hanau in Hessen das HU um ein -RE bereichern würde …
Wir sind jetzt bei dem Punkt, an dem die – oben angesprochene – ausgleichende Gerechtigkeit ihre volle Wirkung entfaltet:
Mit dem deutschen Kennzeichnungssystem lassen sich auf Nummernschildern kurze Botschaften in niederländischer (Geheim?)Sprache mitteilen, die von den Eigentümern keineswegs beabsichtigt gewesen sein dürften…
Hier für Eilige ein paar erstaunliche Beispiele, ausführlichere Fundstücke gibt es, wenn Sie den Button des Oldtimers PR-00-ST betätigen.
Leider konnten wir kein Foto eines Kennzeichens finden, das aus Dortmund kommt und die Kombination
DO-EI XXX
trägt.
Doei ist nämlich die freundliche Art, „Tschüss“ zu sagen und wird, das haben Sie ja jetzt gelernt, (mit langem u!!!) Dui ausgesprochen.
Und wenn Sie zufällig ein Foto eines solchen Nummernschildes auftreiben können, würden wir uns freuen.
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