Fietsende Nederlanders – Radfahrende Niederländer
Fietsen – ist gesund
Unsere Recherchen erbrachten reichhaltiges Informationsmaterial zu Verbreitung, Funktion, Soziologie, Kosten und Wirtschaftlichkeit des Radfahrens in den Niederlanden. Man liest auch begeisterte persönliche Berichte von Freizeitradlern über Touren durch ihr Land.
Aber der schnelle Griff zum Fahrrad bei allen kleine Strecken (bis 7,5 km, sagen die Statistiker) ist offenbar wirklich so selbstverständlich, dass sich einfach keine persönliche Bemerkungen zum Alltagsfietsen auftreiben lassen. Nicht einmal Witze (außer denen der Radrennfahrer oder Freizeitradler – aber die sind ja hier nicht unser Thema).
Also befragten wir w e i s e Niederländer nach ihren persönlichen Erfahrungen mit dem Radfahren. (Deren Weisheiten sind manchmal in delftblauer Farbe auf Kacheln zu finden und verraten dann auch noch den von uns so geschätzten trockenen Humor.) Das kam dabei heraus:
Tegeltjeswijsheden (Weisheiten auf Kacheln)
Fahrräder sind gesund, esst mehr Fahrrad
(Leider nicht wörtlich übersetzbar, deshalb inhaltlich)
Ob Sie das als Vorspeise, Hauptgericht oder Nachspeise nehmen, entscheiden Sie bitte selbst
Fietsenstallingen (Fahrrad-Parkplätze) am Bahnhof, nachts in einem Teelädchen und auf einem öffentlichen Platz
Es geht unseren Nachbarn übrigens nicht an erster Stelle um die Gesundheit an sich, aber die positive Wirkung des Radfahrens auf die Gesundheit wird als ein perfekter Nebeneffekt angesehen.
Tatsächlich veröffentlicht das Programm Health Urban Living der Universität Utrecht (UU) im American Journal of Public Health (gerade rechtzeitig zu unserem Beitrag) die Ergebnisse einer Untersuchung zur Wirkung des Radfahrens auf die Gesundheit. (am 22.06.2015 unter https://www.uu.nl/nieuws/lang-leve-de-fietser).
Im Beitrag über Fietsen op zijn Limburgs haben wir das ausführlich und etwas augenzwinkernd unter die Lupe genommen. In der Veröffentlichung liest man, dass Untersuchungen ergaben, jede Stunde Fahrradfahren verbessere die Gesundheit insgesamt so sehr, dass man eine Stunde Lebenserwartung hinzu gewinnt.
De facto fietsen die Niederländer sowohl aus eigenem Antrieb als auch politisch gefördert Jahr für Jahr mehr Fahrradkilometer. Hier eine Tabelle mit Fahrradkilometern der Niederländer in Milliarden km!!!
Fiets | 2010 | 13,7 |
2011 | 14,9 | |
2012 | 14,7 | |
2013 | 14,5 | |
2014 | 16,3 |
Jack Boekhorst hat unter 10 heel goede redenen om te gaan fiesten (10 sehr gute Gründe fürs Radfahren) die gesundheitlichen Vorteile kurz aufgelistet: https://www.optimalegezondheid.com/10-hele-goede-redenen-om-te-gaan-fietsen/
Also dann mal los:
Gesundheit durchs fietsen
(frei nach Boekhorst mit einer Prise Kommentierfreude vom Team www.hemelse-modder.de)
Menschen, die sich regelmäßig in der frischen Luft bewegen,
sind widerstandsfähiger gegen Virusattacken oder Bakterien,
haben weniger Übergewicht,
weniger Bluthochdruck,
weniger Diabetes Typ 2,
weniger Herzrhythmusstörungen
oder andere Herz – und Gefäßkrankheiten.
Die Verdauung wird gefördert und
alle Muskeln im Körper profitieren von besserer Durchblutung,
von der Versorgung mit Nährstoffen und dem
Training aller Muskelfasern.
Auch die Haut profitiert von besserer Durchblutung,
heilt schneller,
produziert mehr Collagen und
hat deshalb weniger Falten ;0)) …
Bessere Durchblutung fördert auch die Hirnaktivitäten
(5% mehr Herztätigkeit bewirkt 15% Erhöhung der Hirnaktivität) und
die vermehrte Benutzung der Hirnzellen beim aufmerksamen Fahren tut ein Übriges zur
besseren Verarbeitung von Informationen in den grauen Zellen.
Die körperliche Betätigung und die Bewegung im Tageslicht helfen dem Körper,
den Tag-Nacht-Rhythmus einzuhalten,
ermüden die fietser auf gesunde Weise und
erlauben daher qualitativ besseren Schlaf (tiefer und länger).
Eigentlich wirken auch diese Vorteile des Radfahrens auf die Gesundheit:
Die bessere Gesundheit und die geistige Aktivität helfen,
mit Stress-Situationen besser zu Recht zu kommen, weshalb, so Boekhorst,
Radfahren einen positiven Effekt auf Arbeits- und Alltagsleben hat
(positivere Grundstimmung, höhere Motivation).
Offenbar zeigen Untersuchungen, dass Rad fahrende Arbeitnehmer
weniger Pausen nehmen und
ihre Arbeiten zielstrebiger, besser geplant und zeitgerecht ausführen.
Das ist beruflich erfolgssteigernd und
das steigert wiederum das Selbstwertgefühl (würden wir ergänzen ;0)))
und das wieder füllt mutmaßlich angenehm den Geldbeutel (würden wir ergänzen ;0)))
Radfahren ist zudem preiswerter als andere Verkehrsmittel,
schont den Geldbeutel ;0))
schont die Umwelt und
spart Zeit, weil es für Radfahrer in bebauten Gebieten die kurzen und direkten Wege gibt (politisch gewollt und städteplanerisch umgesetzt).
Es entstresst zudem die Menschen auf den zurück gelegten Fahrstrecken.
Mehr Zeit und dann auch noch ein wenig mehr Geld im Geldbeutel kann man sehr angenehm nutzen fürs persönliche Wohlbefinden, zum Nutzen der Wirtschaft (shoppen?) … wahrscheinlich fällt Ihnen auch das ein oder andere dazu ein.
Das liest sich fast wie ein Gedicht, gelle?
Wird die fiets(er)cultuur der Niederländer helfen können zu verwirklichen, was alle Fachleute in der Welt sich von ihr für etwa 7,3 Milliarden Menschen erhoffen?
Es gibt Parallelen zu Gewohnheiten aus der Vergangenheit: Wieder sind es die „Freien“ (Sie erinnern sich? freie Bauern, 12.Jhdt., Herzog von Holland …?), auf die wir schauen. Sie machen diesmal nicht Moore urbar sondern sie beleben die Welt des www (Wille weist Wege) und treffen sich dann, gewissermaßen „virtuell gefiltert“, mit Gleichgesinnten zum fietsen im Himalaya,
beispielsweise so …
https://www.wereldfietser.nl/
https://www.reisomdewereld.nl/wereldfietsers/
https://www.china-by-bike.de/blog/2013/06/mit-dem-klapprad-aufs-meer/ (Anm. d. Red. 23.01.24: Seite nur noch via web.archive.org zu erreichen)
Quelle: „Mountainbiken in Nepal, Tibet, India en Bhutan„, himalayanleaders.be, 20.10.15
Wie weit der Weg von solchen kosmopolitisch frei denkenden Gruppen zu einer tragfähigen kosmopolitischen Konsensgesellschaft ist? Keine Ahnung. Jedenfalls steckt darin eine neue Form von weltumspannender Vergleichbarkeit (auf bestimmten sozialen Ebenen) und vielleicht künftig auch eine egalitäre Gesellschaft. Solche Trends von heute bestimmen als internationaler Habitus über nationale Grenzen hinweg vielleicht unsere Zukunft.
Prof. Dr. Kuipers beendete ihre Antrittsrede so:
„Eine neue soziale Zweiteilung zeichnet sich ab, entlang einer Bruchlinie mitten durch die Idee vom Nationalstaat. Der wachsende Abstand zwischen höher- und weniger hoch Ausgebildeten markiert auch eine immer wichtiger werdende Grenze zwischen nationalorientierten `Lokalen` und international orientierten `Kosmopoliten` (…) Um diese neue kosmopolitische `kreative Klasse` anzulocken, legen mehr und mehr Städte großzügige Netzwerke an: Radwege. Von Paris nach Toronto, von Rom nach Krakau und von Boston nach Peking werden `bicycle-sharing`-Programme gestartet – die Version des 21. Jahrhundert vom witte-fietsenplan. Denn: Was ist das Symbol, das miteinander geteilte Hobby, ein wichtiges politisch-soziales Projekt dieser kosmopolitischen, grünen, egalitären und so informellen Klasse? Es ist das Symbol des Status-ohne-Dekor, Macht, die nichts davon wissen will, dass sie eine Macht ist, etwas, das wir in den Niederlanden seit langem kennen. Das Rad.“
Prof. Dr. Giselinde Kuiper. Antrittsvorlesung am Norbert Elias-Lehrstuhl für Langfristige Prozesse an der Erasmus Universiteit Rotterdam am 11. Juni 2010: De fiets van Hare Majesteit. Over nationale habitus en sociologische vergelijking (Das Fahrrad Ihrer Majestät. Über nationalen Habitus und soziologische Vergleichbarkeit). Zitat siehe Seite 16. http://www.giselinde.nl/fietsvanharemajesteit.pdf (Anm. d. Red. 01.11.24: PDF ist nur noch auf openjournals.ugent.be verfügbar)
Dazu noch ein passendes Foto?
Bitteseeeeehr …
Schaufensterdekoration eines Männermodegeschäfts
(Orange ist übrigens auch hier wieder die Farbe der Oranier, d.h. des niederländischen Königshauses und gleichzeitig en Lebensgefühl)
Ahnen wir nach all dem Spurenlesen, warum alle Welt die Niederländer um die fietsercultuur beneidet?
Das alles ist unseren Nachbarn übrigens keineswegs einfach so zugefallen. Sie haben sich, ihrem nationalen Habitus folgend, für diese Verkehrspolitik entschieden – und sie auch gegen das Auto mit viel persönlichem Einsatz verteidigt.
Wie und warum dieser Wille von vielen Einzelnen durch die Mehrheit, also durch Politik, Verwaltung auf allen Ebenen und die Mehrheit aller sozialen Gruppen so konsequent in die Wirklichkeit umgesetzt wird, versuchen wir, im nächsten Beitrag aufzuspüren.
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